Die alte Arbeitsteilung zwischen Politik, Verwaltung und Gesellschaft funktioniert nicht mehr: Früher setzte die Politik Ziele und goss sie in Gesetze, die von der Verwaltung verlässlich umgesetzt wurden. Die Gesellschaft spottete zwar bisweilen über die Behäbigkeit der Bürokratie, vertraute ihr aber in hohem Maße – waren Verlässlichkeit und Beständigkeit doch wichtige Werte in Zeiten langsamer Veränderungen.

Die Coronapandemie in 2020/2021, die hohen Flüchtlingszahlen in 2015/2016 sowie der täglich größer werdende Digitalisierungsdruck zeigen die Grenzen dieses Modells: Die Politik läuft den Fakten hinterher, es fehlen Pläne, Daten und Analysen. Die Verwaltung kann vor lauter Herausforderungen ihre Stärken nicht mehr ausspielen – Verlässlichkeit ist kein Wert, wenn das Vorgehen nicht mehr zu den sich schnell verändernden Herausforderungen passt. Die Gesellschaft reagiert mit Ungeduld und Fassungslosigkeit darüber, dass Anpassungen so lange dauern, dass gleiche Fehler immer wieder begangen werden, weil keiner vom anderen zu lernen scheint. Dies gilt in allen Bereichen und besonders wenn es um das Zusammenwirken zwischen verschiedenen föderalen Ebenen geht.

Man kann sich politisch streiten, was jeweils im Einzelfall die beste Lösung ist. Aber unabhängig von der politischen Richtung werden wir uns auf eines einigen können: Jede Lösung wird kompetente, modern ausgebildete Menschen brauchen, die sie umsetzen: Planer:innen und Strateg:innen, die Daten analysieren und Handlungsszenarien ableiten können. Projektleiter:innen, die schnell neue IT-Lösungen zu implementieren vermögen. Prozessdesigner:innen, die Behörden helfen, schnell mit höheren Fallzahlen zurechtzu­kommen. Kommunikator:innen, die Verwaltungshandeln verständlich und auf zeitgemäßem Weg nach außen vermitteln. Trainer:innen und Coaches, die Führungskräfte unterstützen, mit neuen Herausforderungen umzugehen.

Ohne solche Umsetzungs- und Veränderungsexpert:innen wird keine Lösung gelingen! Doch diese Kompetenzen gibt es heute in der Verwaltung nicht genug: Wir haben die Stellen dafür nicht eingeplant, die Menschen dafür nicht eingestellt oder ausgebildet, die Führungskräfte dafür nicht ausgesucht oder trainiert. Kurz: Es fehlt an ausreichender und erfahrener Digitalisierungs- und Veränderungskompetenz.

Diese Umsetzungs- und Veränderungsexpert:innen werden in der Verwaltung nur ausge­bildet oder von außen gewonnen werden können, wenn die gesamte Personalentwicklung der Verwaltung modernisiert wird: Ausbildung von Nachwuchskräften, Weiterbildung der vorhandenen Arbeitskräfte, Einstellungs- und Beförderungspolitik, geeignete Projekt­strukturen.

Nicht nur die Verwaltung ist der hohen Veränderungsgeschwindigkeit und dem Druck der Digitalisierung ausgesetzt. Andere Länder, die Wirtschaft und viele andere Bereiche unserer Gesellschaft sind diesem gleichermaßen ausgesetzt. Auch außerhalb der Verwaltung ist das eine große Herausforderung, die nicht überall gut bewältigt wird. Aber von erfolgreichen Modellen können und sollten wir lernen.

Was muss also konkret passieren, um mehr Digitalisierungs- und Veränderungskompetenz für eine moderne Verwaltung zu schaffen?

Forderung 1: Mehr Investitionen in Aus- und Fortbildung

Um dem Mangel an Digitalisierungs- und Veränderungskompetenz zu begegnen, ist massiv in den Kompetenzaufbau bei den vorhandenen Beschäftigten zu investieren – auch wenn dies erst mittel- bis langfristig wirkt. Data Science, Data Analytics, Prozess- und Projekt­management, Digitalisierung und Automatisierung, Risikomanagement & Compliance, Kommunikation, Personalmanagement, … das sind die Bereiche, in denen die Verwaltung mehr Kompetenzen aufbauen muss. Hierfür sind geeignete Strukturen zu schaffen, um den knapp 5 Mio. Beschäftigten im öffentlichen Sektor angemessene Perspektiven zu bieten.

Zusätzlich sollten 30 Professuren für Public Management an Fachhochschulen und Universitäten neu geschaffen werden. In möglichst allen Studiengängen sollte so ein Bezug zum Staat sowie zur Attraktivität der dortigen Arbeitsplätze hergestellt werden.

Forderung 2: Mehr Querwechsler:innen für die Verwaltung

Bis 2030 geht jede:r dritte Arbeitnehmer:in im öffentlichen Dienst in den Ruhestand. Diese Pensionierungswelle betrifft überproportional die Ebene der mittleren und oberen Führungs­kräfte, d.h. derjenigen, die die Veränderungen maßgeblich vorantreiben müssen.

Das verlangt eine grundlegend andere Beförderungspolitik und – um eine schnelle Wirkung zu erreichen – zu 30% die Nachbesetzung der relevanten Führungspositionen von außen, d.h. mit Querwechsler:innen aus der Privatwirtschaft.

Damit kann besonders schnell verändert werden und es wird der Wissensvorsprung anderer Branchen genutzt. Erfahrene Führungskräfte von außen können schnell gezielt an den besonders virulenten Bereichen eingesetzt werden.

Forderung 3: Mehr Kapazität für die Zukunftsthemen

Trotz hoher Verschuldung gab es in den meisten Gebietskörperschaften in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Stellenaufwuchs, ohne dass sich die eingangs beschriebene Situation der Verwaltung verbessert hätte. Budgets und Stellen müssen für die Zukunfts­themen geschaffen werden: für digitale datenbasierte Analysezentren, Planungsstäbe und Veränderungskompetenzzentren sowie für Projektleiter:innen, Prozessmodernisierer:innen, Kommunikationsexpert:innen und Personalentwickler:innen.

Forderung 4: Charta „Offene Türen in der Verwaltung“ für eine moderne Personalentwicklung

Es braucht lokale Bekenntnisse von Behörden, hier neue Wege zu gehen und eine Willkommenskultur zu schaffen. Eine Charta fasst die wichtigsten Maßnahmen zusammen, mit denen eine Behörde ihre Türen für Fach- und Führungskräfte von außen öffnet und ihren Beschäftigten eine moderne Personalentwicklung bietet: Stellenausschreibungen werden grundsätzlich auch öffentlich gemacht und nicht nur intern ausgeschrieben. Sie werden in einer Sprache verfasst, die auch Menschen verstehen, die keine Verwaltungsjuristen sind. Sie stellen auf Kompetenzen ab, die für eine erfolgreiche Tätigkeit nötig sind, und nicht auf formale aber häufig nicht wirklich relevante Kriterien. Sie werden auf Online-Plattformen veröffentlicht, auf denen auch die interessantesten Jobs der Privatwirtschaft zu finden sind. Für besonders knappe Qualifikationen gibt es ein transparentes System von Zulagen. Die Charta sollte auch eine Verpflichtung zur Begründung enthalten, wenn für die Besetzung einer Führungsposition Kandidat:innen, die von außen oder mit ungewöhnlichen Profilen jenseits des 2. Juristischen Staatsexamens, von vornherein nicht in Betracht gezogen werden sollen. Eignung, Leistung und Befähigung hängen in erster Linie von der relevanten Berufserfahrung und nachgewiesenen Ergebnissen der letzten zehn Jahre und nicht von einem Studium ab, das ggf. Jahrzehnte zurückliegt. Den vorhandenen Beschäftigten müssen Möglichkeiten geboten werden, ihr Wissen auf dem aktuellen Stand zu halten und durch ressortübergreifende Jobwechsel und Hospitationen in der Privatwirtschaft fit für die Zukunft zu bleiben.

Für eine moderne Personalentwicklung gibt es keine rechtlichen Hürden. Und das Dienst­recht eröffnet schon jetzt einen großen Spielraum für die Stellenbesetzungen mit externen Kandidat:innen. Diese Möglichkeiten werden aber bisher zu wenig genutzt. Deshalb ist diese Charta im Dialog zu entwickeln und die Politik muss Ministerien und Behörden ermutigen, diese zu unterzeichnen sowie auf ihren Webseiten zu veröffentlichen. Damit bekennt sich Politik auch klar zu den Vorteilen von Querwechsler:innen.

Forderung 5: Hybride Institutionen stärken

In den letzten Jahren wurden in manchen Bereichen besondere Verwaltungseinheiten oder staatseigene Unternehmen gegründet, die Methoden und Kompetenzen aus der „Außenwelt“ für den Staat nutzbar machen. Inhouse-Beratungen wie BwConsulting oder “PD – Berater der öffentlichen Hand” treiben komplexe Veränderungsprozesse voran und stärken die Auftrag­geberfähigkeit des Staates. Sie unterliegen dabei nicht den Interessenkonflikten privatwirt­schaftlicher Beratungen. Innovationslabore und -agenturen wie DigitalServices4Germany arbeiten direkt mit den Fachbehörden zusammen, erstellen Prototypen und innovative IT-Lösungen und stellen dem Staat wertvolle IT-Umsetzungskompetenz zur Seite.

Solche hybriden Institutionen an der Nahtstelle von Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor sind ideale Reformtreiber für den öffentlichen Sektor. Sie sollten weiter gestärkt werden.

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Pressemitteilung vom 19. April 2021: